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Normkompetenz in Organisationen
Ausgangslage
Es ist mitunter erstaunlich, welche skurrilen Umsetzungen man in 25 Jahren als Berater und Trainer im Namen eines QM-Systems miterlebt:
- Sogenannte QM-Handbücher, in denen Normtext lediglich umformuliert wurde.
- Musterhandbücher, in denen seit Jahren noch die „Firma Mustermann“ auftaucht.
- Identische Handbücher eines Beraters in 5 gänzlich unterschiedlichen Unternehmen.
- Kunden, die nur PDF-Dateien haben, sodass nur der Berater Dokumente aktualisieren kann.
- Ein 300 Seiten umfassendes QM-Handbuch für ein Unternehmen mit nur 8 Mitarbeiter:innen.
- Vorgaben von Methoden, die nicht zur Organisation passen oder die Mitarbeiter:innen nicht beherrschen.
- Angebot für ein QM-Handbuch inklusive ISO 9001-Zertifikat für 12.000 € mit 5 Jahren Gültigkeit.
- Zertifizierungsauditoren, die im Auditplan ein „opulentes Frühstück“ einplanen.
- Audits mit 80 % Small Talk über historische Lenkdrachen, inklusive YouTube-Videos schauen.
- Qualitätsaudits, in denen überwiegend Anforderungen zur Arbeitssicherheit auditiert werden.
- … und zahlreiche kuriose Verschwendungen rund um die Zertifizierung von QM-Systemen.
Woran hat es gelegen?
Das fragt man sich dann so, woran es gelegen hat. Tja, woran hat es gelegen?
Mir fallen einige Gründe ein, die zu solchen Extremen führen:
Vertrauen: Kunden verlassen sich auf Aussagen und Vorgaben von Berater:innen.
Angst: Es wird viel erduldet, um das Zertifikat nicht zu verlieren.
Machtmissbrauch: Nicht alle Menschen (Auditor:innen) können mit (Urteils-) Macht umgehen.
Ziel: Solange die Pappe (das Zertifikat) an der Wand hängt, ist die Geschäftsführung zufrieden.
Zwang: Kunden fordern ein Zertifikat von Lieferanten, welches diese nicht haben wollen.
Fokus: Organisationen pflegen Dokumentation für das Audit und nicht zum Selbstzweck.
Zeit: Tagesgeschäft und Feuerwehraktionen lassen kaum Raum für vorbeugende Ansätze.
Eine Kernursache sticht hervor: fehlende Normkompetenz!
Wenn sich jemand aus der Organisation auskennen würde, würde man sich nicht alles gefallen lassen. Vielmehr würde man eigenständig sinnvolle Lösungsansätze finden und diese in Audits verteidigen (was leider anstrengend genug sein kann).
Mit der entsprechenden Kompetenz können Organisationen das Vertrauen in Berater:innen bewerten, interne Ängste nehmen, Machtmissbrauch Einhalt gebieten, Ziele und Fokus im Dialog mit Geschäftsführung und Kolleg:innen justieren, den Zwang in Lust ummünzen und die Zeit für Vorbeugung verteidigen.
Unternehmen kennen oftmals weder die Norm noch Hintergründe zur Zertifizierung. Themen wie die Prozessorientierung, das Management von Komplexität, die Anwendung von systematischen Lösungsansätzen oder der risikobasierte Ansatz wirken in solchen Organisationen wie Fremdkörper aus anderen Welten. Daher fristen viele QM-Systeme ein Schattendasein, die nur einmal im Jahr zum Audit das Licht der Sonne erblicken.
Wege aus der Misere
Beratung
Über Beratung kann die Normkompetenz eingekauft werden. Die Auswahl kann herausfordernd sein, besonders wenn man keine Auswahlkriterien zur Verfügung hat. In vielen Fällen ist lediglich der Preis ausschlaggebend, was schnell teuer werden kann. Vorsicht ist geboten, wenn der Eindruck entsteht, dass ein Musterhandbuch verkauft wird und man hier und da nur kleinere Änderungen vornehmen müsse.
Berater:innen sollten verständlich kommunizieren können. Besonders positiv sollte auffallen, wenn Berater zunächst das Vorhandene (organisatorische Abläufe und resultierende Nachweise) auf Normkonformität bewerten. Dabei werden sie entweder fündig, haben Anregungen zur Verbesserung oder können erklären, was zur Normkonformität fehlt. Gute Berater können hierbei den Sinn hinter den Normanforderungen erläutern und gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen passende Lösungen erarbeiten.
QMB-Ausbildung
Ja, die ISO 9001 fordert seit der Revision 2015 nicht mehr den Beauftragten der Leitung (oft QMB genannt). Gleichzeitig haben wir bis hierhin festgestellt, wie wertvoll es sein kann, wenn sich eine Person in den eigenen Reihen mit den Anforderungen der ISO 9001 und den Möglichkeiten rund um Zertifizierungsaudits auskennt.
Der QMB ist tot – es lebe der QMB. So lautete die Überschrift eines Artikels von mir aus dem Jahr 2014, in dem ich die neuen Normanforderungen der ISO 9001:2015 detaillierter erläutere.
Ausbildungen zum/zur QM-Beauftragten gibt es in verschiedensten Formen und Facetten. Am Markt finden man namhafte Anbieter (mit großem Budget für die Googlesuche) und zahlreiche Alternativen. Auch ich habe für meine Lev-Akademie eine umfangreiche QMB-Ausbildung in Form eines Selbstlernkurses mit 26 Stunden Videomaterial, vielen Extras (Übungen, Quiz, Zusatzinfos …) und Abschlussprüfung mit Zertifikat erstellt.
Fortbildung und Erfahrungsaustausch
Netzwerke wie die Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ) ermöglichen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und von deren Erfahrungen zu profitieren. Regelmäßige Teilnahme an solchen Austauschforen ermöglicht es, neue Perspektiven zu gewinnen und das eigene Wissen zu vertiefen.
Fachliteratur und Fachartikel
Um sich über aktuelle Entwicklungen im Qualitätsmanagement auf dem Laufenden zu halten, ist der regelmäßige Konsum von Fachliteratur und Fachartikeln anzuraten. So erkundet man neue Erkenntnisse oder einfach mal andere Meinungen und Erfahrungen.
Diskussionen auf LinkedIn
LinkedIn hat sich als Plattform für den Austausch von Fachwissen etabliert. Diskussionen in themenspezifischen Gruppen oder unter Beiträgen von Expert:innen bieten wertvolle Einblicke und die Gelegenheit, sich aktiv an Fachdebatten zu beteiligen. Hier können neue Kontakte geknüpft und wertvolle Anregungen für die eigene Arbeit gewonnen werden.
YouTube-Kanäle
Auch YouTube ist eine wertvolle Quelle für praxisnahe Informationen. Es gibt zahlreiche Kanäle, die sich auf Qualitätsmanagement und verwandte Themen spezialisiert haben. Dort findet man anschauliche Erklärungen, die das Verständnis von Normanforderungen und deren Anwendung erleichtern.
Appell zur Normkompetenz
Lasst euch nicht alles gefallen und akzeptiert nicht blind jede Vorgabe. Rüstet euch stattdessen mit dem nötigen Wissen aus, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Baut intelligente, wirkungsvoll strukturierte und hilfreiche Systeme auf, die eure Organisation wirklich voranbringen, anstatt nur formalen Anforderungen zu genügen. Verteidigt die guten Lösungen, die ihr entwickelt habt, und steht zu euren Überzeugungen – auch, wenn es im Audit mal unbequem wird. Gleichzeitig solltet ihr immer offen für Verbesserungen bleiben, denn nur so können Systeme langfristig erfolgreich bleiben und sich an neue Herausforderungen anpassen.
Falls Du Interesse an der QMB-Ausbildung der Lev-Akademie hast, gibt Dir das folgende Video einen Überblick darüber, was Dich nach dem Kauf erwartet: