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Was ist eigentlich Qualität?
Normdefinition vs. Volksmund
Der Volksmund sagt: „Qualität ist, wenn der Kunde zurückkommt und nicht das Produkt.“
Die ISO 9000 definiert Qualität als „Grad, in dem innewohnende Merkmale eines Produktes oder einer Dienstleistung festgelegte, verpflichtende oder üblicherweise vorausgesetzte Anforderungen erfüllen.“
Insoweit passen ISO-Definition und Volksmund zusammen: Wenn Anforderungen erfüllt wurden, besteht wenig Anlass zur Reklamation.
Somit verfolgt ein Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001 das Ziel, die Produktqualität und/oder die Dienstleistungsqualität sicherzustellen. Genau aus diesem Grund wurde in vielen Branchen ein ISO 9001-Zertifikat verlangt. Die Hoffnung war groß, dass zertifizierte Lieferanten fehlerfrei funktionieren.

Es sollte inzwischen kein Geheimnis mehr sein, dass ein Zertifikat herzlich wenig über die Qualität einer Organisation aussagt. Das ist hier aber nicht das Thema. Wir fokussieren uns weiterhin am Begriff der Qualität.
Qualität, Norm und Zertifizierung
Dass die Norm nicht von einer fehlerfreien Organisation ausgeht, erkennt man an den Anforderungen zu internen Fehlern (8.7 Steuerung nichtkonformer Ergebnisse) und zum Umgang mit Kundenreklamationen (10.2 Nichtkonformität und Korrekturmaßnahmen).
Vielmehr liefert die ISO 9001 Anforderungen zu Rahmenbedingungen einer Organisation. Die Idee: Unter optimalen Rahmenbedingungen steigt die Wahrscheinlichkeit, Produkte und Dienstleistungen fehlerfrei zu erbringen.
Für ein wirksames Qualitätsmanagement sollten alle Anforderungen der ISO 9001 hinsichtlich Qualität reflektiert und bei Bedarf verbessert werden.
Norminhalte ganz ohne Normkauderwelsch
Die zu reflektierenden Rahmenbedingungen umfassen bei der ISO 9001 grob folgende Themengebiete:

- Einschätzungsvermögen zu Themen, die von außerhalb der Organisation Einfluss nehmen.
- Erkennen von internen Schwächen und schleichenden Veränderungen.
- Aufrechterhaltung und Entwicklung einer angemessenen Arbeitsumgebung.
- Befähigung und Einsatz der richtigen Mitarbeiter.
- Sicherstellung der Kommunikationswege (mündlich und schriftlich).
- Einsatz passender Methoden, um Abweichungen oder Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen.
Zu jeder dieser Kerndisziplinen findet man zahlreiche Bücher und Meinungen. Eine Suche auf Amazon nach Managementbüchern liefert über 80.000 Ergebnisse.
Relevanz und Angemessenheit
Organisationen stehen vor der Herausforderung, den Umgang mit diesen Themen zielführend anzugehen. Das kann bei einem Sozialbetrieb, einem Hersteller, einem Händler oder einem Ingenieurbüro jeweils gänzlich unterschiedlich aussehen. Die Themen sind grundsätzlich identisch, genießen jedoch andere Prioritäten und wirken sich unterschiedlich aus.
So würde man bei der Planung zur kritischen Infrastruktur (z.B. Atomkraftwerk) andere Methoden erwarten als bei der Planung einer Produktionslinie (z.B. Automotive) und wiederum andere Methoden als bei der Planung einer Not-Operation (z.B. Krankenhaus) oder der Planung für den Jahresabschluss (Steuerkanzlei).
Was ist denn nun besonders wichtig?
Auf den ersten Blick haben insbesondere die Auswirkungen potenzieller Fehler einen hohen auf die Bedeutung von Qualität. Es wäre jedoch fatal, die Qualität zu vernachlässigen, nur weil kein Kundenleben gefährdet ist, oder keine ernsthaften Haftungsrisiken bestehen.
- Wer Themen, die von außerhalb der Organisation Einfluss nehmen, falsch einschätzt, verpasst den Zeitpunkt für notwendige Veränderungen.
- Wer interne Schwächen oder schleichende Veränderungen ignoriert, wundert sich eines Tages, warum notwendige Veränderungen immer aufwendiger werden.
- Wer die Arbeitsumgebung vergammeln lässt und technologischen Fortschritt ignoriert, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit von Marktbegleitern überholt.
- Wer Mitarbeiter nicht weiterentwickelt, deren Bedürfnisse nicht ernst nimmt oder überfordert, wird beobachten, wie die Guten das sinkende Schiff verlassen.
- Wer das erforderliche Wissen nicht zur rechten Zeit effektiv bereitstellt, wird eine wachsende Fehlerquote feststellen.
- Wer Methoden und Ergebnisse nicht regelmäßig hinterfragt, wird akuten Handlungsbedarf erst spät erkennen.
Gute Organisationen haben verstanden, dass alle Themen für den Erfolg der Organisation angemessen zu managen sind. Da hierzu das Zusammenwirken verschiedener Bereiche einer Organisation benötigt wird, spricht man vom Qualitätsmanagement.
Qualität hat Konkurrenz
Als wäre Qualitätsmanagement nicht schon komplex genug, wollen Organisationen Arbeitsunfälle vermeiden, die negative Umweltauswirkungen reduzieren, Daten schützen, Energie sparen, sozial fair agieren und dabei auch noch den erforderlichen Gewinn einfahren. Nur Organisationen mit einer gesunden Marge werden auch zukünftig in der Lage sein, sich um all diese wichtigen Themen zu kümmern.
Leider hält der Trend an, dass Kunden Zertifizierungen zu weiteren Normen fordern. So wird z.B. mit der ISO 53000 das Thema Nachhaltigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zum neuen Renner, obwohl ein Großteil der Anforderungen bereits durch die ISO 9001 und ISO 14001 abgedeckt ist. Als wäre das noch nicht wahnsinnig genug, erfindet jede Branche wiederum eigene Standards (IATF 16949, ISO 13485, IRIS, TL 9100 …). Auch hier sind die Themen identisch, nur die Sprache ist branchengerecht und bestimmte Schwerpunkte werden klarer auf den Punkt gebracht.

Wann sind zu viele Audittage erreicht? Besteht nicht die Gefahr, dass der ganze Normscheiß an Einzelpersonen wegdelegiert wird, weil die Mitarbeiter einfach nur arbeiten wollen?
Ein frommer Wunsch zum Schluss
Ich würde mir wünschen, dass die oberste Leitung, Führungskräfte, QM-Beauftragte, Mitarbeiter, Berater und Auditoren den Fokus zu 100 Prozent auf diese Themen legen, statt sich in Norminterpretationen zu verlieren.
Abschließend ein paar zusammenhangslose Aussagen, die den Wunsch verdeutlichen:
- Ein messbares Ziel für einen Prozess ist nur sinnvoll, wenn es Einfluss auf die Qualität hat und von den Personen beeinflusst werden kann. Zudem müssen messbare Ziele nicht zwingend Kennzahlen sein.
- Ob in der Qualitätspolitik bestimmte Schlagworte vorkommen, spielt keine Rolle.
- Eine Risikomatrix schützt vor nichts. Umgesetzte Maßnahmen und Ideen zum Umgang mit neu erkannten Risiken sind wichtig.
- Arbeitssicherheitsthemen haben in einem ISO 9001 Audit nichts verloren, sofern das Sicherheitsrisiko nicht den Kunden betrifft (z.B. Brandschutz in einem Hotel).
- Ein Messsystem muss nur so genau sein, dass eine Zielgröße sicher bewertet werden kann. Eine Stoppuhr zur Viskositätsmessung muss nicht kalibriert sein.
- Wenn Mitarbeiter die erforderliche Kompetenz haben, herrscht kein Schulungszwang. Die Norm fordert keine Qualifikationsmatrix.
- Organisationen legen das interne Auditprogramm risikobasiert fest.
- Wenn Auditoren zu einer Normanforderungen keine Konformität finden, dann ist das nichts Schlimmes. Die Organisation erhält die Chance, sich zu dem Thema zu verbessern.
- Es ist vollkommen egal, wie eine dokumentierte Information aussieht, Hauptsache es unterstützt die Mitarbeiter.
- Kataster oder Verweise auf Normen oder Gesetzte ergeben nur Sinn, wenn aktiv damit gearbeitet wird. Die wenigsten Mitarbeiter sind Juristen.
- Man muss nicht alles dokumentieren, sofern es keinen Mehrwert für die Organisation hat oder der Nachweispflicht dient. Schließlich heißt „audire“ zuhören.
- Alles, was man nur für das nächste Audit macht, sollte infrage gestellt werden.
- Organisationen legen Methoden fest. Nicht die Norm, nicht Berater und erst recht nicht Auditoren. Schließlich müssen Mitarbeiter der Organisation die Methoden anwenden.
- Unternehmer tragen immer ein Restrisiko. Es gibt keine Garantie für Null Fehler.
